Das Gegenteil von gut ist gut gemeint? Zur Relativierung und Abschaffung deutscher NS-Vergangenheit im migrantischen Rap dieser Gesellschaft. Eine Befragung
Vor einigen Wochen erschein die CD “Respekt!² Die Hinhören CD“, herausgegeben vom Jugendsender MDR Sputnik, in Kooperation mit dem Landesjugendring Thüringen e.V., der Landeszentrale für politische Bildung Sachsen-Anhalt und SPIESSER - Die Jugendzeitschrift. Diese ist mit 13 Songs von prominenten KünstlerInnen wie Jennifer, Rostock, Tomte, Jan Delay, Peter Fox, Samy Deluxe etc. ausgestattete CD wurde und wird mit der Stückzahl von 40.000 Exemplaren u. a. an Schulen Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt verteilt. In diesem Kontext gab es auch im Mai 2009 eine sog. Respekt-Woche des Radio-Senders Sputnik unter dem Motto “Respekt statt Hass, Toleranz statt Gewalt”.
Auf der besagten CD steuert der Rapper Samy Deluxe den Titel “Dis ist wo ich herkomm” einen zentralen Titel der CD bei, ist er doch auch im Booklet der Sachsen-CD mit den kompletten Lyrix vertreten. Und Samy Deluxe hat auch gerade eine Biographie unter dem gleichen Namen herausgebracht.
Aber was singt der schon seit Jahren bekannte und erfolgreiche Rapper da eigentlich genau? So fängt das Lied an:
“Ey, uh, yeah, hört ihr das? Das ist ‘ne neue Perspektive auf die ganze Scheiße, haha!
Dies hier ist unser Deutschland
Dies hier ist euer Deutschland
Dies ist das Land wo wir leben
Dies ist das neue Deutschland”
Naja, also erstmal ne nationale Perspektive reinbringen – “Deutschland” ist erst mal als Referenzrahmen des Sprechens und als Problemraum aufgemacht.
Dann geht es fröhlich weiter:
“Pass auf es geht so, hoff ihr verstehts so
wir müssen was für unser Land tun für unser Ego
Dies ist der Startschuss für die Kampange es geht los
Ziele sind gesteckt und extrem groß es ist phäno-
menal egal was ihr auch sagt
ich werd beweisen das ich mehr für Deutschland mach als der Staat
Mit meinen Partnern denn wir geben den Kids Perspektive
bisschen Aufmerksamkeit und ein bisschen mehr Liebe”
Okey? Ein Rapper, der was für “Deutschland” machen will (sogar in guter neoliberaler Art und Weise ohne den Staat), was für die “Kids” – und zwar “Aufmerksamkeit und Perspektive. Na, wenn soziale Ungleichheit überall so einfach bekämpft werden könnte, dann lasst bitte den guten Samy in die ganze Welt mit seinen Projekten und seinen Songs. Aber mal Spass beiseite: Die sozialen Problemlagen und strukturellen Unglerechtigkeiten in der Gesellschaft werden gar nicht benannt, sondern verbleiben im Nichtsagbaren.
Aber der Song hat noch mehr zu bieten:
“Ich schau mich um und habe Zweifel wie es weitergehen soll in diesem Land das meine Heimat ist Und ich sehe ein das die Vergangenheit hier nicht einfach ist
doch wir können nicht steh’n bleiben
weil die Uhr immer weiter tickt (tick – tack)
Und wir haben kein Natinalstolz und das alles bloß wegen Adolf -
ja toll schöne Scheiße der Typ war doch eigentlich ‘n Österreicher
Ich frag mich was soll das, als wäre ich Herbert Grönemeyer
Die Nazizeit hat unsere Zukunft versaut
die Alten sind frustriert deshalb badet die Jugend es aus
Und wir sind es Leid zu leiden, bereit zu zeigen
wir fangen gerne von vorne an, schluss mit den alten Zeiten”
Ahh, ja … auch so ein altbekannte Argumentation. Die negative Geschichte hat “uns” eigentlich am Wickel, bremst “unsere” Entwicklung, unser Fortkommen, sorgt für Stillstand, obwohl sich alles doch weiter bewegt. Also, “Die Vergangenheit ist also “nicht einfach”, aber was daran eigentlich? Werden die Verbrechen der NS-Diktatur genannt? Nein, es geht um eine etwas nebulöse Vergangenheit. Und dann kommt die Krönung, die Pointe: Hitler, der ja Österreicher war, versaut(e) uns den Nationalstolz. Wie bitte? Als ob das Problem Hitler allein war … irgendwie kommt das einem doch ätzend bekannt vor. Nirgends ein Verweis, dass es doch die deutsche Mehrheitsgesellschaft war, die durch ihr Handeln mindestens sechs Millionen Juden und viele andere Menschen getötet, ermordet und vernichtet haben, die alle zu nicht lebenswerten Subjekten gemacht wurden.
Aber damit noch nicht genug, ein wenig müssen noch das Kriegsende, die Wende, der Mauerfall, Nationalgeführ und die Schuld an zwei Weltkriegen in den Rap-Mixer, damit das rauskommt:
“Siehs mal so:
64 Jahre nach dem Krieg, 20 nach der Wende
das war kurz nach dem Mauerfall
krass wenn ich dran denke
7 Jahre nach der DM, 3 Jahre nach der WM
Ein Monat waren wir kurz stolz dann mussten wir uns wieder schämen
denn es heißt wir haben beide Weltkriege gestartet
vielleicht kann man da auch keine Selbstliebe erwarten
aber, was soll’n wir tun etwa für immer depressiv sein
trotz den ganzen Fortschritten der kulturellen Vielfalt”
Der nächste Hammer folgt also: Weil es nur “so heißt”, dass “wir” beide Weltkriege gestartet haben, kann also keine Selbstliebe der Deutschen erwartet wartet werden. Also: Solche Sätze ermöglichen saubersten Geschichtsrevanchismus: Denn historisch richtig ist, dass “Deutschland” diese beiden Kriege verschuldet hat, daran gibt es überhaupt keinen historischen Zweifel. Wenn daraus keine Selbstliebe der Deutschen erwächst, dann erscheint mir das normal und sogar wünschenswert, nicht problematisch.
Kurzum – es bleiben viele Fragen, die dieser Text meiner Meinung nach aufwirft: Müssen migrantische Stimmen im Hip-Hop einen “deutsch”-Bezug aufmachen? Diese Bezugnahme be- und hinterfragt natürlich die bisherige weisse, rassisistische Konstruktion eines “Deutschsein”. Und eine Neonazi- Instrumentalisierung der Zeilen von Samy Deluxe könnte (glücklicherweise) auch schwierig werden, weil seine migrantische Subjektivität einer rassistischen Volks- oder Bevölkerungskonstruktion einer scheinbaren “Reinheit” einer Rasse entgegen stehen würde.
Trotzdem eine weitere Frage: Für wen spricht eigentlich der Rapper? Und mit wem? Die Frage der Repräsentation muss auf jeden Fall kritisch beleuchtet werden, gerade wenn hier an das Tun für ein Land , gegen Langeweile, Depression, Pessimismus und andere vermeintlich falsche Daseinszustände appelliert wird.
Zuletzt: Warum wird die Vergangenheit als Last, als Hindernis, als problematische Erzählung wahrgenommen? Ich hätte vielleicht eher erwartet, dass sie ein zu aktualisierender, zentraler Erinnerungsraum für die Gesellschaft sein sollte. Die Erinnerung könnte auch im migrantischen Rap diskutiert werden unter mindestens zwei Gesichtspunkten: a) Was für Alltagsrassistsiche und strukturelle Diskriminierungserfahrungen es in dieser postnazistischen Gesellschaft weiterhin gibt gegenüber Menschen, die wir als “Anders” wahrnehmen, ordnen, sortierten. Und sollte hier vor Kontinuitäten bzw. neuen Entwicklungen eher gewarnt werden, vor dem Hintergrund der historischen Schuld Deutschlands. b) Es wäre wünschenswert einmal zu schauen, welche alternativen Geschichten als aus einer postkolonialen Perspektive in die offizielle Deutschlandgeschichtsschreibung hineingetragen werden müssten, die migrantische Stimmen und Erfahrungen zu erzählen haben – und die das homogene Deutschland(-Bild) inklusive Volksideologie etc. auch infrage stellen könnten. Diese beiden genannten und andere Gesichtspunkte müssen natürlich überall in emanzipativen und kritischen Räumen diskutiert und proliferiert werden – dass den MigrantInnen als Aufgabe einzuschreiben, wäre genau so eine (post)koloniale Praktik, die unerwünscht ist.
Ich kann zu diesem ganzen Problemfeld ehrlich keinen objektiven Standpunkt formulieren, dass wäre aus einer weißen, mittelklassegeprägten Perspektive absolut anmaßend. Deshalb sind diese ganzen Zeilen eher Fragen und Problematisierungen, denn fertige Antworten.
Aber by the way: Warum haben eigentlich die CD-MacherInnen diesen Track für den Sampler gewählt – und dann noch die Lyrics des Textes so zentral platziert?
Zugegeben: Ich bleibe bei diesen vielen Fragen etwas ratlos zurück…
Ich teile die Ratlosigkeit… Als Ergänzung verlinke ich hier einen Post dazu auf Der Schwarze Blog: http://blog.derbraunemob.info/2009/02/14/deutschland-das-ist-auch-unsere-heimat/