Die Kampagne “Studieren in Fernost” soll Abiturient_innen für ein Studium an ostdeutschen Universitäten begeistern. Weil “neue Bundesländer” nicht sexy genug klingt, wird in die Exotismus-Schublade gegriffen. “Fernost” klingt nach Kultur, Exotik, wohlchoreografierten Kampfsportszenen, Gongs und Geishas… und nach Boom, Wirtschaftswachstum, Zukunft gepaart mit uralten Wissenskulturen. Was wäre also besser geeignet, um jungen Menschen aus den alten Bundesländern ein Studium im “Osten” schmackhaft zu machen und bei ihnen “oft noch vorhandene Vorbehalte zu entkräften”?
Vielleicht dachte sich das die “Hochschulinitiative Neue Bundesländer” so ähnlich, als sie sich für das Konzept der Agentur Scholz&Friends entschied. Die Kampagne arbeitet außerdem mit schülerVZ zusammen und wurde unter anderem für diese innovative Kooperation am 9. Juni 2009 mit dem Deutschen Multimedia Award (DMMA) ausgezeichnet. Finanziert wird die Kampagne durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF). Die Kampagne ist also zumindest als solche erfolgreich.
Auch wenn die Website “nur ein kleiner Teil” der Kampagne ist, dürften das Logo und die Hochschulfilme auf der grellfarbigen Website für die Wahrnehmung der Gesamtkampagne eine große Rolle spielen. Beginnen wir also mit dem Logo.
Lustig soll es sein. Es geht um die Neuen Bundesländer und “Vorbehalte” sollen “abgebaut” werden. Also passt Zonen-Gabi nicht so ganz. Könnte sich außerdem jemand auf den Schlips getreten fühlen. Und grau sollte das Logo auch nicht sein (oder gar braun), denn: der Osten ist bunt, jawoll. Mal brainstormen… Fernost… was fällt uns da ein… die naheliegende Lösung: stilisierte Schlitzaugen! Einmal in rosa, einmal in blau! Einmal mit einem traurigen und einmal mit einem lachenden Strichmund! Und damit die Fernost-Referenz niemandem entgeht, bekommen die beiden als Körper diese lustigen Schriftzeichen, mit denen da in Fernost geschrieben wird.
Ein Logo hat die Kampagne also schon. Jetzt muss noch aufgepasst werden, dass die Hochschulfilme nicht zu dröge oder informativ daherkommen. Am besten brauchen wir zwei lustige Menschen, die uns durch die Videos führen. Die könnten ja ein bisschen fernöstlich aussehen. Und so fernöstliche Namen haben. Wie wäre es mit Gang und Dong? In den Videos, die jeweils eine Universität präsentieren, fahren Gang und Dong in einem grellbunten Kleinbus und zu einem irgendwie asiatisch klingendem Jingle durch ostdeutsche Hochschulstädte. Sie verhalten sich ziemlich clownesk, ziehen sich schrill an und bedienen so einige Klischees. Eher konservativ gekleidet werben sie auch für die Studiensuchmaschine:
Abgesehen davon, wie die Aufmerksamkeitsstrukturen von Jugendlichen eingeschätzt werden und die Kriterien, nach denen sie ihre Universität wählen; abgesehen davon, dass die Kampagne – wie die Konferenzen Sächsischer und Thüringer Studierendenschaften kritisierten – eine Geldverschwendung ist und lieber in bessere Studienbedingungen investiert werden sollte; abgesehen davon, dass die Idee mit den “Campusexperten” gut ist; abgesehen davon, dass ich auch nicht weiß, wie man eine solche Kampagne “gut” machen sollte: Finden es denn wirklich alle OK, Charaktere, die Gang und Dong heißen, als wandelnde Klischees und Spaßvögel durch die Filmchen stolpern zu lassen?
“Portraying Asian People as Ridiculous”, so der Titel eines Posts auf Sociological Images, kritisiert einen US-amerikanischen Fastfood-Werbespot, der ostasiatische Männer in einer ähnlichen Weise einsetzt (Sociological Images hat übrigens auch besser durchdachte Posts zu bieten und ist generell sehr empfehlenswert!). Und macon d von stuff white people do hat vor kurzem zu einem ähnlichen Thema gepostet: “spice up blandly white entertainment with bizarre asian characters“. Wie man in seinem Post lesen kann, hat diese Darstellungsweise Tradition.
“Humor” und “Ironie” machen aus Stereotypen nicht automatisch harmlose Späßchen… “war doch nur Spaß” ist ein häufiger Abwehrreflex, um sich nicht mit Rassismen, Sexismen etc. auseinanderzusetzen. Eine öffentlich finanzierte Kampagne, die völlig ohne Not die Exotismus-Karte zieht, muss sich zumindest fragen lassen, warum. Meiner Ansicht nach gehört sie auch aus diesem Grund kritisiert. Was meinen andere?
Achtteilige Serie von Sociological Images zu “People of Color” in der Werbung: hier
Update:
Auf “Sociological Images” hat sich einer der Macher von “Studieren in Fernost” zur Kritik geäußert. Hier der Link zum gesamten Kommentar.
Ein paar Sätze würde ich gern herausgreifen:
“The campaign uses well-known stereotypes about Asia in order to draw attention to less obvious stereotypes about eastern Germany. We want young people to re-think (or unthink^^) their notion of what is an exciting region in the heart of Europe with lots of excellent opportunities for studying and living. It only works if people recognise these stereotypes as such. The feedback we get from young Germans with Asian origin and from young people in Japan is very encouraging.”
Also bleibt es dabei: Stereotype sollen mit Stereotypen bekämpft werden. Dahingehend bleibt meine Kritik bestehen. Den obigen Verweis auf die Traditionen, an die mit der Verwendung bestimmter stereotypischer Darstellungen möglicherweise angeknüpft wird, möchte ich wiederholen. Zur (humoristischen) Bekämpfung von Stereotypen gibt es schließlich immer auch die Mittel der Überzeichnung oder der Selbstironie. Die zitierte Argumentation überzeugt mich nicht.
Der letzte Satz spricht ein Thema an, das ich in meinem Post nicht erwähnt hatte. Ich will mir nicht anmaßen, im Namen anderer zu bestimmen, was rassistisch ist. “Missionieren Sie nicht im Namen anderer”, schriebt Noah Sow in ihrem Buch “Deutschland Schwarz Weiß” – mich ertappt fühlend, versuche ich, das zu unterlassen. Daher habe ich absichtlich vermieden, die Kampagne als rassistisch zu kritisieren, und statt dessen – mit kritischem Blick, versteht sich – eine Frage gestellt.
Die ich nun erweitern möchte: Stereotype über eine Gruppe dazu verwenden, vermeintlich “weniger offensichtliche” Stereotype aufzudecken – kann das funktionieren? Und angenommen es funktionierte: macht das den Gebrauch der Stereotype OK?
Liebe Elena,
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Krasse Aktion, diese Werbekampagne! Ein echtes Ding rassistischer medialer Reproduktionen. “Die Banalität der Rassismus” (Mark Terkessidis) schlägt mal wieder reichlich zu. Naja, das Gegenteil von gut ist gut gemeint, wie Kettcar so richtig singen …
Hätte mal einer (symbolisch) Gang und Dong mit den Köpfen der Agentur gemacht … vielleicht hätte es geholfen
Herzliche Grüsse, der Dings-Bums aus “Fernost”