Eines kann man den Macher_innen der Kampagne „Studieren in Fernost“ nicht vorwerfen: dass ihnen die Wirkung und das Image ihrer Kampagne egal wären. Im Gegenteil – kritische Stimmen werden gehört und das Gespräch wird gesucht. Sogar mein kritischer Beitrag auf diesen Seiten wurde registriert und in den Kommentaren wurde ich durch Lisa vom „Team Fernost“ auf einen Beitrag auf der Kampagnen-Website verwiesen, der sich mit der durch einen Professor geäußerten Kritik, die Kampagne setze „auf eine Stigmatisierung des Ostens“ und sei „fast schon rassistisch“, auseinandersetzt (die Kritik ist in der aktuellen Unicum nachzulesen). *
Der Artikel trägt den Titel „Deutsche Schubladen“ und stellt eine Frage, von deren Antwort, so die Autor_innen, „Sinn und Unsinn einer solchen Kampagne abhängt: Wie wiedervereint sind die Deutschen?“
Der Artikel reagiert auf die Kritik, es würde mit einer Stigmatisierung des Ostens (Deutschlands) und seiner vermeintlichen Exotik gespielt. Die Existenz von Vorurteilen („Nur 5 Prozent der West-Abiturienten würden gerne im Osten studieren.“) zeigt, so die Autor_innen, „dass die Kampagne keine Klischees schafft oder bedient, sondern sich mit einer messbaren Realität auseinandersetzt.“ Dass diese Realität auf Vorurteilen beruhe, mache sie nicht weniger wirkmächtig. West-Ost-Vorurteile seien aber, anders als die „liebevoll gepflegten und gehegten Animositäten der Deutschen Stämme [sic!] gegeneinander“ – gemeint sind Nord-Süd-Differenzen, der „Weißwurstäquator“ als „kaum überbrückbare Mentalitätsschranke“ und liebevolle Ostfriesenwitze – nicht als solche bewusst. Das liege daran, dass die Vorbehalte so groß seien, dass sie eigene Erfahrungen verhinderten.
Die Kampagne wolle darum „mit Klischees […] brechen.“ Die Zielgruppe – „Schüler, von denen 39 Prozent den Osten kategorisch ablehnen“ – sei mit Fakten schwer zu erreichen (als Indiz hierfür gilt die StudiVZ-Gruppe „Schon ein Glas Hamster deckt den gesamten Tagesbedarf an Hamster“ mit 5733 Mitgliedern), Seriosität habe bisher auch nicht geholfen – „Also muss die Kampagne schrill und bunt sein.“ Und jetzt kommen wir zum Kern des Arguments – und auch der von mir bereits geäußerten Kritik:
Aber eine alberne Kampagne mit stark sächselnden Clowns, die versucht Klischees aufzubrechen, würde die meisten in ihren Vorurteilen womöglich noch bestätigen und der eingangs erwähnte Vorwurf hätte seine Berechtigung. Doch zwei Asiaten als Heimwerker, Rocker, Roboter, Beach Boys oder auch Bruce Lee-Verschnitte machen an den ostdeutschen Hochschulen keinen Sinn, sie scheitern an der Realität genauso wie die überkommenen Vorurteile. Sie treiben die Klischees auf einer abstrakten Ebene ins Absurde.
Lassen wir uns das nochmal auf der Zunge zergehen. Würde man existierende Klischees über „Ossis“ überzeichnen, liefe man Gefahr, existierende Vorurteile zu bestätigen. (Sie in einer Rechtfertigung zu reproduzieren, scheint hingegen weniger ein Problem zu sein – was, wenn sich die Klischees auf die leicht zu widerlegende Vermutung beschränkten, alle „Ossis“ sächselten stark, vielleicht auch zu verschmerzen wäre.) Drum wählt man geflissentlich andere Klischees zum Überzeichnen (wie von mir bereits messerscharf im Originalbeitrag festgestellt). Und jetzt kommt’s – ich überspitze:
„Doch zwei Asiaten […] machen an den ostdeutschen Hochschulen keinen Sinn […].“
(Ich gebe zu: eine vielleicht unzulässige Überzeichnung. Man nehme also beispielsweise zwei Schwaben „als Heimwerker, Rocker, Roboter, Beach Boys oder auch Bruce Lee-Verschnitte“ – machen die „an den ostdeutschen Hochschulen“ mehr Sinn? Ich bin zu einem Selbstversuch bereit. Aber ich schweife ab.)
Einerseits geht es also darum, zu zeigen, dass an ostdeutschen Hochschulen ganz normale Menschen studieren. Sogar aus dem Westen. Deutsche nämlich. Andererseits – und das wurmt mich wirklich – gehen die Macher_innen davon aus, dass innerdeutsche Ost-West-Klischees so wirkmächtig sind, dass man von ihnen besser die Finger lassen sollte. Internationale Ost-West-Klischees verorten sie jedoch „auf einer abstrakten Ebene“. Eine Begründung hierfür scheint nicht nötig.
Warum sollten Klischees nicht mehr wirkmächtig sein, sobald sie nicht Deutsche betreffen? I don’t get it. Mit meinen Verweisen auf eine Tradition von Stereotypen, an die die Bilderwelt der Kampagne meines Erachtens anschließt, wollte ich genau darauf hinaus: es ist eben nicht abstrakt und aus der Luft gegriffen, bei „bunt und schrill“ an “Asiaten” zu denken. Genauer gesagt: die Effekte von Stereotypen sind immer konkret.
Sicher: ohne Stereotype stünde Werbung jeglicher Art vor einem großen Problem (Geschlechterstereotype in der Werbung nimmt übrigens die wunderbare Sarah Haskins regelmäßig humorvoll aufs Korn). Dennoch muss solche Werbung einer Kritik ausgesetzt werden. Wie die Macher_innen schreiben: Klischees sind nicht unveränderlich. Es wäre schön, zur Dekonstruktion von Klischee A andere Mittel zu wählen als die Reproduktion von Klischee B. Das Schlusswort überlasse ich dem „Team Fernost“:
In dieser Kampagne geht es nicht um Schubladen und Klischees, derer sich jeder bedient, um sich die Welt zu erklären oder zumindest zu vereinfachen. Darin liegt ja auch die Erklärung für Klischees – sie machen alles so schön einfach.
* auch ein Kommentar von mir auf einem US-amerikanischen Blog wurde von einem Macher der Kampagne kommentiert – darauf gehe ich in einem Update meines ursprünglichen Posts ein.
liebe elena,
touché! kritik darf auch spass machen. und diese macht spass. sehr viel spass. auch wenn ihr realer hintergrund zum schreien ist. diese leute wollen anscheinend nicht begreifen, sie sind “beratungsresistent”. vielleicht sollten sie in dieses ominöse todescamp der toleranz gesteckt werden, dass in einer south park folge auftaucht. aber ob das hilft? verweifelt, aber herzlich schmunselnd und lachend.
le critiska