Wie der Schwarze Blog berichtet, hat der Berliner Landesverband der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW) auf seinen Seiten endlich mal was für die “armen kleinen Deutschen” veröffentlicht: “Deutschenfeindlichkeit in Schulen: Über die Ursachen einer zunehmenden Tendenz unter türkisch- und arabischstämmigen Jugendlichen“. Eigentlich hat der Schwarze Blog schon alles notwendige zu den verdrehten Argumenten, begrifflichen Verkürzungen und der machtvergessenden Argumentation gesagt – einschließlich der Aufforderung der GEW seine Meinung zu schicken. Dennoch, das hier muss gerade mal raus:
Wenn “Ursachen” gesucht und in knapp 1000 Worten dargeboten werden, entstehen meist nicht unerhebliche Kollateralschäden – so natürlich auch hier. Als würde Schwachsinn durch Wiederholung sinnvoller wird zunächst einmal mehr die Untergangsstimmung in Teilen “unserer” Städte heraufbeschwört. Denn nachdem erst einmal die “armen, bildungsfernen Familien” von den “Deutschstämmigen” und den “aufstiegsorientierten Migrantenfamilien” in Neukölln, Kreuzberg oder “anderen Städten” sitzengelassen wurden, verstärkt sich die “Deutschenfeindlichkeit unter vielen SchülerInnen mit Migrationshintergrund” und “viele deutsche SchülerInnen” empfinden sich als “diskriminierte Minderheit”. Wo Verallgemeinerungen schon die Problematisierung strukturieren, können sie in der Erklärung nicht fehlen:
“Diese nichtdeutschen Jugendlichen wohnen in sozialen Brennpunkten, sind oft dem Prekariat zugehörig und leben isoliert. Sie entstammen häufig äußerst konservativen Familien. Auffällig ist dabei ein oft problematisches Deutschenbild. Vielfach werden Deutsche verachtet und Deutschland nur als Beutegesellschaft betrachtet, eine Integration abgelehnt. [...] Eine der Ursachen für diese Entwicklungen scheint ein Kulturkonflikt zwischen westlichen und aus dem traditionellen Islam herrührenden Vorstellungen zu sein. Viele der jungen ImmigrantInnen erleben in ihren Familien eine verzweifelte Abwehr aller Veränderungen, insbesondere der Individualisierung. [...] Angesichts des Autoritätsverlusts des muslimischen Mannes in der europäischen Diaspora und der perspektivischen Unsicherheit muss es zu Persönlichkeitskonflikten kommen. Unsicherheit aber kollidiert mit den traditionellen Überlegenheitsgefühlen vieler Muslime, ihrer Vorstellung dem einzig wahren, ursprünglichen Glauben anzugehören.”
Ungefähr diese Erkenntnis-Schnittmenge dürfte es sein, die reißenden Absatz findet und das Pass-stiftende Volksblut der Zugehörigkeit zur “deutschen Minderheit” in Wallung bringt. Unter Eltern aus der “deutschen Minderheit” in Berlin (und “anderen Städten”) könnte es garniert mit einem ‘ich habs doch immer schon gewusst’ oder ‘man wird doch endlich mal sagen dürfen’ zur gemeinsamen Suche nach der Schule mit dem größten Kartoffelanteil im Umkreis von 50 km führen. Oder die Aneinanderreihung von Pauschalurteilen und Kausalketten findet ihren Weg in den diagnostischen Katalog von SchulleiterInnen und LehrerInnen und dient zur Interpretation von Beiträgen, als Instrument der Ferndiagnose von Streitereien auf dem Schulhof oder gleich zur grundsätzlichen Skandalisierung überdurchschnittlicher Anmeldungen von SchülerInnen, denen man einen “Hintergrund” zuschreiben kann. Die ‘Drohung’ der AutorInnen jedoch, geht gleich noch ein paar Schritte weiter:
“Jeder Rassismus muss bekämpft werden. Uns scheint, dass es nicht reicht, allen Formen des Rassismus pädagogisch entgegenzutreten, man muss den SchülerInnen auch juristisch den Tatbestand der Volksverhetzung verdeutlichen. Jüngst hat Baden-Württembergs Bundesratsminister Wolfgang Reinhart (CDU) einen Vorstoß seines Bundeslandes angekündigt, wonach deutschenfeindliche Parolen künftig als Volksverhetzung bestraft werden sollen.”
Wenn man schon mal was gegen die “Ausländer” machen kann…wird der Rassismusbegriff nicht nur völlig verdreht – als “Deutschenfeindlichkeit” geht er auch viel leichter über die Lippen. Wenn “Deutsche” als Täter identifiziert werden, ist das R-Wort böse und selbst körperliche Gewalt wird als “Rangelei, die sich ‘hochgeschaukelt’ hat” abgetan. Sobald sich eine Möglichkeit bietet, den Begriff von seinen machttheoretischen Implikationen wie instiutionellen Rahmenbedingungen, strukturellen, staatlichen – kurz: “deutschen” – Vorraussetzungen zu lösen, fällt er in einem Satz mit jenen drei Buchstaben, die sonst nur in analytischen Texten mit ihm in Verbindung gebracht werden können: CDU. Aber zurück zum Thema.
In Anbetracht der pauschalisierenden Aussagen erstaunt kurz vor Ende des Artikels folgender Satz:
“Wichtig bleibt festzuhalten, dass »Deutschenfeindlichkeit« keine Wesenseigenschaft von Muslimen, Türken oder Arabern ist. [...] Deutschenfeindlichkeit ist eine Folge sozialer Bedingungen; allen Versuchen einer Ethnisierung sozialer Erscheinungen sollte entgegengetreten werden. Denn wer Menschen nicht individuell bewertet, bildet rasch vorurteilsvolle Pauschalurteile über ganze Menschengruppierungen.”
Dass die sozialstrukturellen Rosinen im kulturalistischen Kuchen dieses Texts tatsächlich den ethnisierenden Nachgeschmack überdecken sollten, kann einfach nicht ernst gemeint sein. Vielleicht ist diese Passage aber auch einfach irreführend – vielleicht wird hier gar nicht vor einer ethnisierenden Zuschreibung von “Muslimen, Türken oder Arabern” von “MigrantInnen” oder “Ausländern” gewarnt. Vielleicht werden vielmehr SIE gewarnt vor der ethnisierenden Wirkung ihrer “Deutschenfeindlickeit”. Schließlich haben wir weiter oben gelernt, dass sich die “jungen ImmigrantInnen” in einem verzweifelten Abwehrkampf “insbesondere der Individualisierung” befinden. In einer spekulativen Deutung könnte man mutmaßen: Im Umkehrschluss und im Gegensatz dazu sind “Deutsche” individualisiert. Insofern ist völlig klar, dass die traditionalistischen “jungen ImmigrantInnen” erst lernen – sich integrieren – müssen. Aus dieser Perspektive macht der Satz auch wieder Sinn: “Wer Menschen Deutsche nicht individuell bewertet, bildet rasch vorurteilsvolle Pauschalurteile über ganze Menschengruppierungen die deutsche Minderheit.”
Der Umkehrschluss zu diesem Satz gilt in der vorliegenden Argumentation nicht – eben weil “türkisch- und arabischstämmige Jugendliche” ihrer Kultur in dieser Logik nicht entkommen können, solange sie sich nicht in die “westliche”, individualisierende, moderne Gesellschaft integrieren. Ich erinnere beispielhaft: “Angesichts des Autoritätsverlusts des muslimischen Mannes in der europäischen Diaspora und der perspektivischen Unsicherheit muss es zu Persönlichkeitskonflikten kommen.” Wie an dieser Stelle auch, müssen die “jungen ImmigrantInnen” an jeder Stelle der Argumentation, in der es um diskriminierende Erfahrungen geht, zwangsläufig mit den archaischen Momenten “ihrer Herkunftskultur” reagieren, z.B. der “Fähigkeit, Angst zu erzeugen”. Was die Modernisierungstheorie für die Suche nach kulturalistischen “Erklärungen” respektive ethnisierenden Zuschreibungen leisten kann, zeigt sich unter anderem bereits bei Max Weber. Weil “Integration” schon als Erkenntniskategorie nicht von einem (methodologischen oder strukturellen) Nationalismus gelöst werden kann, gilt für die Forderung nach “Integration” umso mehr: sie ist nur selten eine Lösung für irgendein Problem, in den meisten Fällen ist sie vielmehr Teil eines Problems (“no integration”?!). Wenn dieser Begriff überhaupt noch Sinn macht, dann höchstens in einem Sinne, den Georg Diez kürzlich im Magazin der Süddeutschen Zeitung formuliert hat:
Ihm zufolge geht es „beim Thema Integration, so merkwürdig das klingt, weniger um die Frage, wie man mit Ausländern umgeht als vielmehr darum, wie man die Demokratie versteht. Und da ist es nun mal so, dass die Anerkennung anderer als Menschen die Grundlage für all das ist, was mit dem Begriff Demokratie gemeint ist. Diese Anerkennung wird nicht in manchen Fällen gewährt, in anderen nicht. Sie hat bedingungslos zu sein, sonst wäre sie ein feudaler Gnadenakt.“
Nicht weniger “feudal” erscheint es, wenn das Verhalten von jungen Menschen aus ihrem Rechtsstatus (“Ausländer”) oder dem Geburtsort (bzw. dem ihrer Eltern oder Großeltern) erklärt wird. Albert Scherr hat herausgearbeitet, dass man die “Beanspruchung von ethnisch-kulturellen Faktoren als eigenständige Ursache bzw. Bedingung sozialen Handelns” durchaus “unter den Verdacht einer ideologischen Verklärung von wesentlich durch ökonomische Strukturen und politische Machtverhältnisse bedingten Problemen, Interessen und Konflikten” stellen kann – und zwar ohne deshalb die differenzierte Betrachtung von religiösen, kulturellen oder anderen Bezugspunkten von Alltagspraktiken aufgeben zu müssen. Vorzuwerfen ist dem Beitrag also nicht, dass er überhaupt über dieses Thema sprechen will. Vielmehr geht es um ungenaue oder – schlimmer noch – skandalisierende (“Deutschenfeindlichkeit”) Begriffe und Argumente. Anstatt erkenntnisfreie Pauschalisierungen aneinanderzureihen, die sowieso (latent) mehrheitstauglich sind, hätte bei diesem Thema gerade im Kontext einer Bildungsgewerkschaft mit eben diesen Pauschalisierungen aufgeräumt werden müssen.
Großartig, dass Du dieses Thema aufgegriffen und dazu gebloggt hast. Meine Meinungsäußerung als GEW-Mitglied an die Kolleg_innen in Berlin steht noch aus. Besonders fassungslos bin ich über den seltsamen Rassismusbegriff der Autor_innen:
Ich weiß noch nicht recht, wo ich da anfangen soll.