Viel geschrieben und berichtet wird wieder im Vorfeld der Landtagswahl um den Wahlomat der Bundeszentrale für politische Bildung, der Leuten helfen möchte ihre parteipolitischen Präferenzen heraus zu finden. Dabei überrascht es nicht, dass bei einem Tool, das komplexe politische Sachverhalte auf ein paar Thesen mit vermeintlich klaren Ja/Nein-Antworten reduziert auch viele kritische Stimmen auftauchen. Der braune Mob bemängelt zum Beispiel, dass xenophoben Parolen der NPD ein Forum mit dem Wahlomat geboten wird. Die deutsche demokratische Partei wiederum stört sich an einer Benachteiligung kleinerer Parteien in der Websoftware, da diese zum Thesenvergleich in der Endauswertung schlechtere Chancen hätten von den Nutzern ausgewählt zu werden. Gar von Wahlmanipulation ist die Rede.
Neben solch recht nachvollziehbarer Kritik finden sich aber auch immer wieder Beiträge von AutorInnen, die sich verwundert darüber äußern, dass die von ihnen erwartete Rechts/Links-Achse sich nicht in ihren Wahlomat-Ergebnissen widerspiegelt. Ein Leser-Blog-Autor der ZEIT nimmt erstaunt zur Kenntnis, dass seine 1. Präferenz DIE LINKE und die 2. Präferenz die NPD sei. Um seinem Erstaunen die gleichzeitig empfundene, bedenkliche Verstimmung auszutreiben, bemüht er sich sogleich um eine sachliche Fundierung des beobachteten Phänomens. Schnell sind einige Punkte gefunden, die seiner Meinung nach eine Ähnlichkeit von LINKEN und NPD belegen (Kritische Haltung zur Globalisierung, Antiamerikanismus, Anti-Parteien-Haltung, Skepsis gegenüber nahezu allen Staatsorganen, Nein zu Hartz-4, …). Dass es jenseits von parolenhafter Verkürzung bei diesen Themen zwischen den beiden Parteien dann schon kaum noch Gemeinsamkeiten gibt, fällt ihm leider nicht mehr ein. Aber sind sich LINKE und NPD auch auf Ebene unterkomplexer Wahlomat-Parolen wirklich so nahe?
Nachdem ich in meinem letzten Beitrag schon nach der Parteienähnlichkeit anhand der Wahlomat-Daten gesucht habe, hab ich soeben die ganze Sache mal noch ein bisschen weiter getrieben. Für gewöhnlich nehmen wir einen eindimensionalen Raum zur Verortung politischer Einstellungsmuster an, die Links-Rechts-Achse. Die Ursprünge dieser Vorstellung liegen in der Sitzanordnung der verfassungsgebenden französischen Nationalversammlung 1789 begründet, bei der die progressiven republikanischen Kräfte links und die konservativ-monarchistischen kräfte rechts saßen. Bietet eine eindimensionale Skalierung des politischen Spektrums ausreichend Platz zu einer sinnvollen Verortung parteipolitischer Positionen? Die Wahlomat-Daten geben interessante Antworten.
Ein bisschen Statistik-Geblubber zum Vorgehen: Mittels mathematisch-statistischer Verfahren zur Dimensionsreduktion lässt sich ein n-dimensionaler Datenraum auf jeden beliebigen unterdimensionalen Raum abbilden. Das Verfahren der Hauptkomponenten-Analyse liefert für die Wahlomat-Daten eine Menge von Linearkombinationen (die „Hauptkomponenten“), von denen die Aussagekräftigsten ausgewählt werden können, um den Datenraum vereinfacht zu strukturieren und zu veranschaulichen. Ein anschauliches Beispiel was hier passiert: Man stelle sich einen zweidimensionalen Datensatz korrelierter Daten von Körperhöhe und Gewicht einzelner Personen vor. Eine Hauptkomponentenanalyse liefert hierzu eine neue, eindimensionale Kompontente “Größe”, die Informationen aus den beiden Ausgangsdimensionen unter möglichst geringem Informationsverlust kombinert. Die Varianz der Standardabweichungen zu der jeweiligen Hauptkomponente gibt Auskunft über den Informationserhalt/-verlust, bei der Bestimmung der einzelnen Hauptkomponente.
Nun das ganze angewendet: Der Wahlomat enthält Daten von Zustimmung, Nichtzustimmung, oder neutrale Positionierung von 25 Parteien zu jeweils 38 Thesen. Dies entspricht einem 38-dimensionalen Datenraum. Eine Hauptkomponentenanalyse reduziert uns das ganze nun mit ein bisschen hin und her rechnen auf einen eindimensionalen, bzw. zwei- und dreidimensionalen Datenraum. Die erste Hauptkomponente erklärt 25,3% der Varianz der Standardabweichung, die zweite immerhin noch ca. 18%, die dritte nur noch 8%. Vereinfacht ausgedrückt, liefert eine zweidimensionale Darstellung aus den ersten beiden Komponenenten uns also immerhin eine Abbildung die zu 43,3% die Partei-Positionen auf Basis aller Wahlomat-Aussagen wiederspiegelt. Grafisch sieht das Ganze für eine Dimension dann so aus:
Auf der eindimensionalen Reduktion erkennt man, dass sich ein Spektrum zwischen LINKEN und REP aufspannt. Die oft als “rechtsextrem” bezeichneten Parteien (NPD, BGD) befinden sich überraschenderweise sogar links von CDU, ZENTRUM und FDP. Parteien der “Mitte” scheinen hiernach ausgerechnet die kleinen Parteien zu sein, die tatsächlich jedoch ein höchst unterschiedliches Profil auszeichnet. Die im Diskurs vorhandene, gefühlte Links-Rechts-Achse wird nur Ansatzweise durch die Daten wiedergespiegelt. Eine Aufteilung des politischen Spektrums, wie sie unter anderem von der sogenannten “Extremismustheorie” suggeriert wird, ist mit den Wahlomat-Daten nicht nachweisbar. Was kann man nun aus einer solchen Darstellung schließen? Nun, offensichtlich sind die Informationsverluste bei Reduktion auf eine Dimension viel zu groß, als dass sich sinnvolle Aussagen über eine politische Verortung einer Partei treffen ließen. Das empirische Datenmaterial liefert einen Hinweis darauf, dass generell eine Aufteilung des politischen Spektrums zwischen links und rechts zu unterkomplex ist, um für die “Wirklichkeit” brauchbare Interpretationen zu liefern. Mal sehen, wie es aussieht, wenn wir eine weitere Dimension hinzunehmen:
Hier ergibt sich schon ein viel spannenderes Bild. Die zuvor suggerierte Nähe von FDP und CDU auf der einen und BGD, PRO NRW und NPD auf der anderen Seite wird mit Einbezug der zweiten Hauptkomponente aufgehoben. Die “neue Mitte” bilden ganz offensichtlich das in erster Linie mit Migrationsthemen befasste “Bündnis für Innovation und Gerechtigkeit” und die “BÜSO”. In allen Hauptkomponenten nehmen beide Parteien eine zentrale Position ein. Interessant ist, dass sich das Spektrum nach rechts zu immer weiter aufspaltet, wohingegen links relatives Gedränge herrscht, dass sich erst zur Mitte hin mehr und mehr differenziert. Insgesamt erinnert die Abbildung stark an das Modell, wie es auch vom Projekt “Political Compass” entworfen wird, bei dem sich der politische Raum zwischen einer Links-Rechts-Dimension und einer Autoritär-Libertär-Dimension aufspannt. Diese beiden Dimensionen scheinen hier Ansätze für eine sinnvolle Interpretation der ersten zwei Hauptkomponenten zu liefern. Aber nicht vergessen: beide zusammen erklären die wirkliche Positionierung im gesamten Wertebereich des Wahlomats noch nicht einmal zur Hälfte. Für eine genauere Topografie des Politischen müssten also weitere Kompontenten einbezogen werden. Aber da gehen stößt dann die grafische Darstellung auch langsam an ihre Grenzen.
Aber eine Beobachtung bleibt richtig: Eine Identifizierung von Extremen, die sich nun evtl. außerhalb eines mittig positionierten Kreise befinden müssten, erscheint wiederum nur mäßig sinnvoll. Schließlich bleiben FDP und CDU auch im zweidimensionalen politischen Raum die wahren Extremisten. Auch die eingangs erwähnte Behauptung des ZEIT-Bloggers einer gewissen Ähnlichkeit von NPD und LINKEN lässt sich darüber hinaus anhand der Wahlomat-Daten kaum rekonstruieren.
Zum Schluss noch ein Streudiagramm der zweiten und dritten Hauptkomponente. Eine sinnvolle Interpretation für die Verteilung entlang der dritten Hauptkomponente ist mir noch nicht eingefallen. Aber da stößt evtl. auch die Statistik an die Grenzen des Datenmaterials, bzw. die Realität an die Grenzen der Statistik.
Wer eine Idee für die horizontale Verteilung entlang Komponente 3 hat (also wer weiß was z.B. ZENTRUM und FDP im Gegensatz zu CDU und RENTERN politisch verbindet) möge sich gerne zu Wort melden.
Ich bestaune die statistische Leistung und über die 3. Hauptkomponente muss ich noch nachdenken.
Aber zwischendurch: ich habe mich dafür interessiert, was der britische Wahlomat mir für die Wahl am 6. Mai (übermorgen! auch spannend) empfiehlt. Leider fragt der mich keine Fragen, sondern will einfach nur die Daten meiner Facebookfreund_innen analysieren und dabei lustige Geräusche machen – fertig ist die Wahlempfehlung. Glücklicherweise habe ich vergessen, wie das Ding heißt, und kann nicht versehentlich dahin verlinken.