Unglaublich, aber wahr: Die Deutsche Polizeigewerkschaft und ihr Vorsitzender Rainer Wendt, fordern den Rücktritt von Wolfgang Thierse. Der Grund für dieses naßforsche Auftreten ist die Beteiligung vom SPD-Politiker und Bundestagsvizepräsident bei einer Blockade eines Neonaziaufmarsches in Berlin am 1.5.10. Was wird Thierse vorgeworfen? Steinwürfe? Der Bau von Barrikaden? Das Anzünder dergleichen? Gar tätliche Angriffe auf Neonazis? Nein, keins von diesen Taten hat den Antifaschisten Thierse ins Fadenkreuz der Ermittler gebracht.
Sondern folgendes. 1. “Herr Thierse hat Einsatzkräfte der Polizei behindert.”Das nennt Wendt “Nötigung”. Und 2. “Aber viel schlimmer ist, dass jemand, der ein so hohesStaatsamt bekleidet, öffentlich Rechtsbruch zelebriert”. sagt Wendt.
Da werden ja die politischen Hunde in der demokratisch-legtimen Pfanne dieser Gesellschaft verrückt. Meint: Hier werden mal wieder die Ebenen vertauscht. Denn Thieres macht keinen Rechtsbruch – Sitzblockaden sind, wenn überhaupt, Ordnungswidrigkeiten – und damit keine Straftat im eigentlichen Sinne. Sogar das Bundesverfassungsgericht hatte Mitte der 1990er Jahre die Nötigungsrechtssprechung eingeschränkt ((AZ 1 BvR 718/89) und somit die Grundlage gekippt, auf die sich auch Wendt stützt. Mulmig sollte einem werden, wenn so ein Vertreter der Exekutive uns erklären will, was juristisch legal – oder sogar legitim ist. Für die Rechtsauslegung empfiehlt sich eher der Gang ins Gericht, nicht in die Polizei(gewerkschaft). Die Gewaltenteilung steht also auch gegen den Chef-Polizisten.
Politisch legtimin sind Blockade meiner Meinung nach sowieso, gerade in Auseinandersetzungen mit Gruppen, die Ideologien der Ungleichwertigkeit propagieren und gewaltsam durchsetzen (wollen). Neonazis, die in Berlin protestieren wollten, gehören wohl eindeutig zu einer solchen Gruppe. Politisch ist diese Fragestellung aber letztendlich immer. Weil z. B. Wendt in diesem Fall vesucht, den Raum des Politischen einzugrenzen. Also den Raum, der definiert, was als politisch legitime Mittel in einer Gesellschaft genutzt werden können. Das ist meiner Sichtweise zufolge ein problematisches, aber schnell durchschaubares Spiel, das demokratischen Bürger_innen ihre Plätze in der Gesellschaft immer schön brav und geordnet zuweisen möchte. Alles soll seine Ordnung der Menschen haben – auch Demonstrationen, auch Protest. Aus Sicht von Polizeikräften, die immer gerne Wissen wollen, wo wann was passiert, vielleicht sogar nachvollziehbar. Doch: wenn immer schon klar ist, wie sich alle Verhalten – dann wird Veränderung keinen Platz mehr haben. Keine Veränderung auf den Straßen – die dem Spiel des Politischen gehören und nicht dem Verkehr. keine Veränderungen in den Köpfen. Und keine Veränderungen in der Gesellschaft. Deshalb stehen Policey und Politik auch immer in einem Spannungsverhältnis zueinander – und das ist gut so (vgl. dazu Jacques Rancière. Das Unvernehmen. 2002).
Der Deutschen Polizeigewerkschaft und ihren Charaktermasken möchte ich symbolisch zurufen: “Das ist hier Wendland, kein Wendtland, lieber Herr Polizei(gewerkschafts)chef!” Das meint natürlich, dass es hier – wie im Wendland gegen die Atomkraft – um politische Kämpfe geht, die einer demokratischen Gesellschaft den Rücken stärken und es überhaupt nicht angemessen erscheint, diesen demokratischen Wellen das Wasser abzudrehen. Gegenwind erhält so ein Manifestation des Politischen schon ausreichend von politschen Gegner – den Neonazis in diesem Fall. Da muss eine Polizeikraft sich nicht noch kräftig aufplustern.
Ein wunderbares Zitat von “unserem” Wendt ist auch: Man könne nicht werktags “mit Fahrer und Chauffeur auf Staatsmann machen und am Wochenende als Salon-Revoluzzer auf der Fahrbahn sitzen und die Polizeikräfte behindern”. Warum eigentlich nicht? Thierse glaubt wenigsten noch an eine “Ausweitung der Kampfzone” – wie viel Parlamentarier_innen, die schon in den Mühlen der Repräsentation entpolitisiert und postdemokratisiert sind, tun es ihm gleich?
Wendt ist Vorsitzender der (kleineren) Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), nicht der mit dieser konkurrierenden Gewerkschaft der Polizei (GdP). Deren Chef heißt Konrad Freiberg und hat sich auch über Thierse empört. Genauso wie einige Sozialdemokraten aus der Hauptstadt, was ich noch etwas erstaunlicher finde. Wer weiß, was da nun wieder für innerparteiliche Eifersüchteleien und Ränkespiele augetragen werden …